Herbstversammlung am 21. September 2016 in Kempen

Bei sehr gutem Wetter und viel Sonnenschein versammelten sich rund 50 Besucher zur diesjährigen Herbstversammlung im niederrheinischen Kempen. Der erstmalig in karolingischer Zeit erwähnte Ort gelangte mit seinem Umland Ende des 10. Jahrhunderts an die Kölner Erzbischöfe. 1294 wurde das damals bereits befestigte Kempen, das auf der Grenze zu den Territorien Geldern, Kleve und Jülich lag, durch Erzbischof Siegfried von Westerburg als Stadt anerkannt. Kempen kann auf eine bedeutende spätmittelalterliche und frühneuzeitliche Geschichte zurückblicken, wobei die Stadt jedoch seit den Kriegen des 16. Jahrhunderts erhebliche wirtschaftliche wie gesellschaftliche Einbußen erlitt. Seit den 1860er-Jahren trugen insbesondere der Eisenbahnanschluss an überregionale Linien sowie Ansiedlungen mittelständischer Unternehmen zum neuerlichen Aufschwung bei. Die 1859 mit der Rheinischen Städteordnung ausgezeichnete Stadt war zwischen 1816 und 1829 Sitz des Kreises Kempen, dann bis 1974 des Kreises Kempen-Krefeld und schließlich bis 1984 des Kreises Viersen.

Nach dem freundlicherweise von der Stadt Kempen bereitgestellten Begrüßungskaffee hieß der Vereinsvorsitzende Dr. Norbert Schloßmacher im Rokokosaal des 1624 gegründeten Franziskanerklosters, heute Städtisches Kramermuseum, die Gäste herzlich willkommen und erinnerte daran, dass der Verein seit 1863 das elfte Mal in Kempen tagt. Altbürgermeister Hermanns nahm in seinem Grußwort auf die aus seiner Sicht positiven ökonomischen und baulichen Veränderungen Kempens während der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts Bezug, die er weitgehend als Zeitzeuge miterlebt habe. Er betonte das lebendige Brauchtum und gab im Zusammenhang mit der aktuellen politischen Diskussion um den zukünftigen Standort des Kreisarchivs seiner Sorge Ausdruck, bei diesen Überlegungen die historische Bedeutung Kempens nicht ausreichend zu würdigen.

Der Vorsitzende berichtete des Weiteren über den Sachstand der Drucklegung des nächsten Annalen-Heftes und blickte auf die gelungene diesjährige Studienfahrt nach Ypern/ Kortrijk zurück. Er gab bekannt, dass die nächste Frühjahrstagung am 13. Mai 2017 in Roermond stattfinden wird. Abschließend ging er kurz auf den beklagenswerten Bedeutungsverlust der geschichtlichen, besonders landesgeschichtlichen Thematik ein, der sowohl in den Schulen wie an den Universitäten in den vergangenen Jahren spürbar werde. Deshalb habe sich der Vorstand entschlossen, die Mitgliederwerbung erstmals durch die Herausgabe eines Flyers

 


Kempen, Propsteikirche.
 
zu unterstützen. Er stellte den Flyer vor und bat die Mitglieder um dessen Verteilung, insbesondere diejenigen, die im Kontakt zu entsprechenden Einrichtungen stehen.
Im ersten Vortrag gelang es Frau Prof. Dr. Margret Wensky anhand von Kreisbeschreibungen der preußischen Verwaltung ein greifbares Bild der Gesellschaft und Wirtschaft Kempens und seines Umlandes in den Jahren 1850 bis 1870 zu zeichnen. Ihre Quellengrundlage waren zum einen von dem früheren Kreisarchivar Dr. Walter Föhl 1968 publizierten Übersichten aus den Jahren 1858 bis 1860 sowie dann insbesondere eine von der Referentin vor kurzem im Geheimem Staatsarchiv zu Berlin entdeckte weitere Beschreibung von 1873. Frau Wensky ging dabei auch auf den historischen  Kontext  der preußischen Statistik und den Quellenwert dieser Zusammenstellungen ein. Der Beitrag wird im diesjährigen Heimatbuch des Kreises Viersen erscheinen. Dr. Hans Kaiser referierte anschließend zum Thema der nationalsozialistischen Machtübernahme in Kempen.¹ Er beleuchtete die Frage der zügigen und offenbar weitgehend problemlosen Akzeptanz der NSDAP und ihrer Organisationen durch die fast ausschließlich katholisch geprägte Einwohnerschaft der Kleinstadt. Er zeigte hierzu in anschaulicher Weise aus mikrohistorischer Perspektive ein komplexes Bündel von Antworten auf, das sicher für andere und vergleichbare niederrheinische Städte ähnliche Erklärungskraft besitzen dürfte. In diesem Kontext stellte der Referent neben den bekannten Ursachenmustern (wie die Ängste freisetzende Wirtschaftssituation, Nationalkonservativismus, Versailles-Problematik u.s.w.) das überwiegend loyale Verhalten der kirchlichen Würdenträger (Konkordat zwischen Vatikan und der Reichsregierung am
20. Juli 1933) heraus, aber letztlich auch die Unterstützung, welche örtliche Kirchenangehörige für den Nationalsozialismus einforderten. Auch die Trägheit des Einzelnen, sich mit offenbar unumstößlichen Gegebenheiten abzufinden, falle in diesen Kontext. Der Referent schloss angesichts der aktuellen Zeitumstände (Flüchtlingssituation, zunehmende Akzeptanz rechter Parteien) mit dem Appell, für demokratische Werte einzustehen bzw. bei anderen dafür zu werben.

 

 

 

 

 

 




St. Annenaltar aus dem Jahr 1513 in der Propsteikirche St. Mariä Geburt in Kempen (Aufnahme freundlicherweise von Herrn Pfr. i.R. Acht zur Verfügung  gestellt).
 
Nach dem gemeinsamen Mittagessen schlossen sich die beiden, sich abwechselnden Führungen durch die Altstadt sowie die Propsteikirche St. Mariae Geburt an, die durch Frau Dr. Ina Germes-Dohmen und Herrn Pfarrer i. R. Wolfgang Acht kurzweilig und kenntnisreich durchgeführt wurden. Auf dem gut einstündigen Rundgang erläuterte Frau Dr. Germes-Dohmen zunächst die Stadt- und Siedlungsentwicklung und ging dann am Geburtshaus von Thomas von Kempen (* um 1380, † 1471) auf dessen europaweite theologische Bedeutung ein. Über das aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts stammende Rektoratshaus und die Heilig-Geist-Kapelle von 1410 führte der Rundgang weiter zu Rathaus und Markt, wo Frau Germes-Dohmen die behutsamen stadtplanerischen Modernisierungen in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts beschrieb. Die Besichtigung endete an der Mitte des 14. Jahrhunderts errichteten Burg, die als Sitz des erzbischöflichen Amtmannes und des Kellners diente. – Pfarrer Acht skizzierte die um 1200 anzusetzende Errichtung der Propsteikirche St. Mariä Geburt und beschrieb deren bauliche Veränderungen, insbesondere die Anfügung der Seitenschiffe. Ausführlich widmete er sich der Symbolik des Kirchenraumes und erklärte den 1513 entstandenen Antwerpener Hochaltar (Annenaltar), Marienfigur (um 1400) und Marienleuchter (1508) sowie die von Heinrich Dieckmann entworfenen Fenster aus den 1930er-Jahren.

Die Versammlung klang traditionell mit einem Nachmittagskaffee aus, bei dem fast alle Teilnehmer zugegen waren.

Krefeld,
Olaf Richter

¹ Vgl. seine zweibändige Studie: Kempen unterm Hakenkreuz (Schriftenreihe des Kreises Viersen 49,1-2), Viersen 2013/2014.

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