Herbstversammlung des Historischen Vereins für den Niederrhein am 15. September 2018 in Frechen

Die Herbsttagung war als Format ein Novum. Anlässlich des 300-jährigen Bestehens des evangelischen Kirchenbaus in Frechen von 1717 beziehungsweise des 450-jährigen Jubiläums der ersten Berufung eines evangelischen Pfarrers in Frechen im Jahr 1568 fanden sich zwei Vereine zu einer thematischen Veranstaltung unter dem Titel „Der Blick auf die Anderen. Migration als Herausforderung für die Kirchen“ zusammen. Das waren der Verein für Rheinische Kirchengeschichte und der Historische Verein für den Niederrhein in einer gut funktionierenden Kooperation mit dem Stadtarchiv und der Volkshochschule der Stadt Frechen. Zwei Jahre zuvor hatten der Frechener Historiker Dr. Lothar Weiß sowie das Stadtarchiv Frechen (Herr Alexander Entius) die Initiative für eine solche kooperative Veranstaltung ergriffen und sich in der Folge sehr engagiert um die Vorbereitungen und die Durchführung gekümmert, wofür ihnen erheblicher Dank gebührt. Der Dank gilt auch der Stadt Frechen und der Bürgermeisterin Susanne Stupp für die großzügige Unterstützung und Gastfreundschaft in ihren Räumen. Dieser Konstellation war es auch geschuldet, dass von dem traditionellen Mittwochtermin für die Herbstveranstaltung abgewichen wurde.

Eröffnet wurde der Vortragsteil im Gebäude des Stadtarchivs und der Volkshochschule durch die Bürgermeisterin, die auch als Schirmherrin fungierte und bei allen Vorträgen anwesend war. Nach einer kurzen Andacht durch Pfarrer Sven Torjuul von der Evangelischen Kirchengemeinde Frechen sprach im ersten Vortrag Prof. Dr. Mirjam van Veen (Freie Universität Amsterdam, Lehrstuhl Kirchengeschichte) über „Niederländische Flüchtlingsgemeinden im Rheinland in der Frühen Neuzeit“.  Prof. van Veen ging von einer Skizze ihres Forschungsprojektes zur calvinistischen Kirchengeschichte der Niederlande aus, das insbesondere die Beziehungen zwischen den niederländischen Ostprovinzen und dem Rheinland seit dem 16. Jahrhundert in den Blick nimmt. Die calvinistische Wanderungsbewegung aus den habsburgischen Niederlanden in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts in rheinische Metropolen (Köln, Frankfurt) folgte vor allem ökonomischen und konfessionspolitischen Gründen. Die sozialen und ökonomischen Verbindungen zwischen den östlichen Provinzen der Niederlande und dem Rheinland seien historisch und sprachlich eng gewesen. Calvinistische Niederländer hätten sich als ‚Pilger‘ verstanden, nicht als ‚Flüchtlinge‘, und sich in zahlreichen niederrheinischen Orten beheimatet. Dort lernten sie das kirchliche und weltliche Neben- und Miteinander der Konfessionen kennen. Die Umdeutung dieser historischen Situation zur verfolgten Kirche geschah im Wesentlichen in der Zeit des Neo-Calvinismus im ausgehenden 19. Jahrhundert, maßgeblich beeinflusst vom bedeutenden Kirchen- und Staatsmann Abraham Kuyper. Dieses Geschichtsbild gelte es mit Blick auf die Quellen erneut zu befragen.

Die beiden anschließenden Vorträge waren bewusst eng aufeinander abgestimmt und fokussierten vergleichbare Aspekte von Migration im regionalen wie örtlichen Horizont im Längsschnitt von über 100 Jahren. Dr. Lothar Weiß (Evangelische Kirchengemeinde Frechen) behandelte das Thema „Migration, Wachstum und Entstehung neuer evangelischer Gemeinden seit dem 19. Jahrhundert. Das Beispiel Frechen“.  Die extreme Diasporasituation mit einem noch bis weit ins 20. Jahrhundert äußerst geringen Anteil reformatorischer Christen veränderte sich durch Arbeitsmigration und dann seit 1945 massiv durch die fluchtbedingte Zuwanderung und Vertreibung aus dem Osten Deutschlands inklusive der SBZ/DDR. So entstanden Kirchengemeinden, in denen Flüchtlinge und Vertriebene einen beachtlichen Einfluss gewannen. Es trat sogar ein Wechsel des Bekenntnisstandes ein (von uniert-reformiert zu lutherisch). Bemerkenswert war die Entwicklung der Integrierung durch Ausgemeindungen und Neugründungen von Gemeinden auf dem großräumigen historischen Gebiet der Gemeinde Frechen zwischen Bergheim, Düren, Brühl und dem Kölner Westen. Die Diskriminierungssituation der evangelischen Flüchtlinge und Vertriebenen wurde abgelöst von einer gegenseitigen ökumenischen Zuwendung der Konfessionen nach dem Zweien Vatikanischen Konzil.

Anschließend referierte Dr. Ulrich Helbach (Historisches Archiv des Erzbistums Köln) über „Migration und katholische Kirche im Raum Köln seit dem 19. Jahrhundert“. In den Gemeinden der katholischen Mehrheitsbevölkerung (noch 1940 zwischen 88 und 97 %  im Raum westlich von Köln) wirkte sich das Bevölkerungswachstum durch die Arbeitsmigration besonders im Raum Frechen/Hürth schon früh aus, doch fand Integration der Zugewanderten in Form einer Gesamtveränderung dieser oft ausgesprochenen Arbeiterorte statt. Die Fokussierung auf die andere Konfession war vor 1945 marginal. Die überall spürbare Welle von Migration ab 1945 aus Ost- und Mitteldeutschland wurde durch die Pfarrer und ihre Gemeinden ausweislich der breit ausgewerteten Visitationserhebungen relativ rasch integriert. Doch wurden die nun abrupt wachsenden evangelischen Gemeinden zu konkreten Realitäten der Wahrnehmung, teils partnerschaftlich, teils konkurrierend. Gleichwohl waren beständige Wandlungen im Gange, die ab den späten 1950er Jahren die Veränderung des lange Zeit geschlossenen katholischen Milieus insgesamt stark beschleunigte. Weitere Aspekte waren die Betreuung ausländischer Arbeitnehmer, die jedoch auf anderer Ebene durch muttersprachliche Seelsorger und eigene Personalgemeinden erfolgte, ferner die Strukturprozesse in Form industriebedingt aufgegebener beziehungsweise abgebaggerter Kirchenorte.

Die beiden thematisch parallelen Vorträge boten auch ökumenische Blickwinkel der Orts- und kirchlichen Stadt- und Regionalgeschichte.

Im Anschluss an das gemeinsame Mittagessen im Foyer des Stadtarchivs beziehungsweise der Volkshochschule, begab sich die Gruppe des Historischen Vereins zur evangelischen Kirche in der Frechener Hauptstraße. Hier erläuterte der ehemalige Baukirchmeister Erhard Stolz die Geschichte des Gebäudes, seine Nutzung und Bedeutung für die evangelische Gemeinde, während der Verein für rheinische Kirchengeschichte seine förmliche Jahresversammlung durchführte. Beide Vereine trafen anschließend wieder im nahen Frechen-Buschbell in der alten St. Ulrichskirche zusammen. Herr Martin Bock M.A., Geschäftsführer des Frechener Geschichtsvereins, führte in die faszinierende Geschichte dieser Kirche ein und referierte sehr kenntnisreich über die Glasmalereien des Künstlers Georg Meistermann in diesem Kirchenbau. Das Gotteshaus war zugunsten der neuen Buschbeller Kirche (St. Ulrich, 1964) aufgegeben und danach von der evangelischen Gemeinde Frechen genutzt worden. Es beherbergt heute das Begegnungszentrum der Gold-Krämer-Stiftung. Die zahlreichen Meistermannfenster sind eine markante Besonderheit, zumal sie der Künstler auf Veranlassung des damaligen Pfarrers in jungen Jahren fertigte. Die Geschichte ihrer Realisierung und ihres Einbaus mutet äußerst spannend an. Es folgte eine stilvolle Orgelvorführung durch den Kirchmeister der Evangelischen Gemeinde, Dr. Markus Schulz.

Mit einem Zusammensein bei Kaffee und Kuchen im Begegnungszentrum der Gold-Krämer-Stiftung Alt-St. Ulrich klang der für die allermeisten der Anwesenden erklärtermaßen sehr gehaltvolle und anregende Tag aus. Einzig die von der Seite des Historischen Vereins eher bescheidene Teilnehmerzahl war ein kleiner Wermutstropfen.

Ulrich Helbach, Köln / Paul Schrömbges, Viersen

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